

Hallöchen du großes Herz! Heute möchte ich dir eine Geschichte erzählen. Sie handelt von einer peruanischen Kakaobohne. Oder noch besser: Sie erzählt dir ihre Geschichte selbst...

Die rhythmische Vibration von Schritten macht sich in meinem Mutterbaum breit. Vier Erwachsene, zwei Kinder und ein Hund. Über die Monate am Baum konnte ich ein ganz gutes Gespür dafür entwickeln, wer sich hier in unseren Gefilden herumtreibt.
Was, wenn sie gekommen sind, um mich zu holen? Ich werde nervös, fange an zu schwitzen. Ich versuche mit meinem nicht vorhandenen Ellebogen eines meiner Geschwister anzustubsen, um nach Rat zu fragen. Keine Reaktion!
Was passiert hier? Hallo?!
Die Kakaofrucht, die bisher immer schön Schräg vom Stamm meines Mutterbaums hing, befindet sich im freien Fall! Wie in Zeitlupe höre ich meine Geschwister jubeln. Denen scheint das vielleicht gut zu bekommen, aber sehen sie denn nicht die Gefahr?
Wir prallen auf dem Boden auf. Dank der dicken Schale und unserer kompakten Sitzordnung passiert weder mir noch meinen Mitbohnen etwas. Nur ein leichter Schock sitzt mir im Fruchtmark. "Das schlimmste ist jetzt überstanden!" rede ich mir ein. Mein Auge zuckt nervös.
Doch es sollte noch heftiger werden.
Eine warme Hand greif nach meinem Zuhause und hebt uns in die Luft. Was hat sie vor? Ist sie mir freundlich gesonnen?
KRACK!
Meine geliebte Fruchtschale kriegt einen Schlag.
KRACK!
Und noch einen. Plötzlich erblicke ich Licht! Stopp, ich kann sehen? Scheinbar schon! Oh mein Gott, und ich dachte ich kam ohne Augenlicht zur Welt. Faszinierend! Woooooooow.....


Doch zurück zu meinem Abenteuer!
In Ohnmacht durchlaufe ich eine ganz schöne Reise, so wurde mir im Nachhinein erzählt. Schade, dass ich sie nicht ganz bewusst miterleben konnte. Zunächst mal der klimafreundliche Transport durch den Dschungel. Im Anschluss die Fermentation und die Fahrt über den Atlantik. Letzteres war wohl eher langweilig, da war's wahrscheinlich gar nicht so schlecht durchzuschlafen.
Erst im Hafen von Amsterdam komme ich wieder zu mir. Aufgeweckt durch die Rufe euphorischer Hafenarbeiter. Ich finde mich wieder in einem gigantisch großem, Lichtdurchlässigen Sack. Umgeben von unzähligen anderen Säcken, voll von biologisch angebauten Kakaobohnen, wie ich eine bin.
Jipi!
Mir wird bewusst, welchen Zweck diese Reise hat. Die alten, weisen Bohnen haben immer wieder von der Prophezeiung erzählt, das nur die schmackhaftesten Kakaobohnen ereilt. Die Legende besagt, jene welche am schönsten glänzen und am reichsten schmecken, finden ihren Weg über den großen Teich. Weiter, so sagten sie, werden diese auserwählten Bohnen zu einem ganz besonderen Ort gebracht. Der Manufaktur.

Ich kann mich noch genau erinnern, dass dieses letzte Wort - Die Manufaktur - immer äußerst dramatisch von den Alten und Weisen ausgesprochen wurde. Fast schon ehrfürchtig.
Schönes Märchen, dachte ich früher... Sollte das etwa nun mein Schicksal sein? Gehöre ich zu den Auserwählten? Aber bin ich denn nicht nur eine ganz normale, gar nicht mal so besondere Bohne? Eine von vielen! Habe ich diesen Ruhm überhaupt verdient? Und was, wenn ich jemanden enttäusche? Wenn ich unterqualifiziert bin?
1000 Gedanken rennen mir durch den Bohnenkopf. Einer schlimmer als der andere und alle keineswegs hilfreich.
Irgendwann, nachdem ich jeden Zweifel von allen Seiten sechs mal beleuchtet hatte, wurde mir klar, dass mein gedanklicher Dünnpfiff in keinster Weise zu meiner Situation beitrug.
Fakt war: Ich befinde mich auf dem Weg zu einem ganz besonderen Ort. Dem Shangri-La der Kakaobohnen. Irgendwo in den Tiefen Unterfrankens, so sagt die Legende. Und was kann ich daran ändern?
Absolut gar nichts. Nada. Niente.
Also was tun? Dann wohl genau das: Nämlich nichts.
So verbringe ich nun den restlichen Weg meiner Odyssee mit professionellem Nichts-Tun. Bei den alten Chinesen Wu Wei genannt. The Art of Non-Doing auf Englisch. Leichter gesagt als getan, denn wer schonmal probiert hat längere Zeit nichts zu tun, stellt schnell fest, wie ungewohnt und unmöglich das ist. Wie tief die Muster des Tuns und Machens in uns drin sind. Schließlich gibt es ja immer was zu tun. Immer eine Erwartung zum gerecht werden. Wenn nicht der eigenen, dann wenigstens der von jemand anderem.
Nach der ersten, biologischen Transformation durch die Fermentation und Trocknung, erlebe ich nun meine zweite Transformation. Die meines Geistes. Die Bewusstwerdung meiner Innenwelt, meiner Gedanken und Gefühle.
Eine Welt für sich, mit Bergen der Bewegtheit und Tälern der Ruhe. Gefüllt durch Seen aus Tränen und Wälder der Liebe. Hier und da zwitschert ein Vogel der Ekstase und schallt bis auf die Felder der Hoffnung, wo jedes Jahr erneut Früchte der Dankbarkeit geerntet werden. Gesät im Vertrauen auf Morgen und gewachsen in Hingabe zum Moment. Auf meiner Reise durch Holland und Deutschland ereilt mich tiefes Verständnis. Für mich, meine Mitbohnen und die ganze Welt in ihrer Komplexität. Mit der ultimativen Erkenntnis, dass es diese unglaublich unwahrscheinliche Verkettung von Umständen gebraucht hat, um mich an diesen einzigartigen Punkt der Kakaobohnengeschichte zu bringen. Diese Schlussfolgerung machte mir Mut, mein weiteres Abenteuer mit erhobener Schale und offenem Herzenskern anzunehmen. Um dadurch dem Lauf der Dinge die Chance zu geben, dieses doch so kurze Bohnenleben zu einem Feuerwerk der Einzigartigkeit zu machen. Alle Zeichen stehen auf Loslassen und genau in diesem Gefühl erreiche ich meine Destination - Die Manufaktur.

Wovon die Alten vergaßen zu erzählen, war dieser verdächtig gut gelaunte Typ, der mich und meine Bohnenfamilie in Empfang nahm.
Er hat diesen Gesichtsausdruck von "Oh yeah, endlich seid ihr da!". Das ost mir nicht geheuer und das ist okay. Ich habe gelernt mit meinen Emotionen umzugehen.
Huiuiui.... Wir bekamen ein paar Willkommen heißende Worte zu hören und schöne, rhythmische Musik auf die Ohren. Ab und zu führte der mysteriöse Fremde sogar einen Tanz für uns auf. Hätte wegen mir nicht sein müssen, aber gestört hat es definitiv auch nicht.
Nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass immer mehr meiner Geschwister aus ihrem schönen, warmen Jutesack genommen wurden. Es kursierte das Gerücht einer schonenden Röstung, welche ich bald selbst an eigener Schale erfahren durfte.
Und wie das duftete! Ein wenig erinnerte es mich an den Film Chocolat mit Johnny Depp. Nur etwas weniger französisch. Die Röstung stellt sich heraus als gerade mal 20 Minuten abhängen in ordentlich heißer Luft.
Saunieren trifft es wohl eher!
Im Anschluss begann der Prozess der sogenannten Homogenisierung. Eins-Werden war angesagt. Aus der Schale und von grob nach klein. Bis ich mich in einer flüssigen, sämigen und vor allen Dingen köstlichen Masse wiederfand. Ich nenne sie gerne Universum oder Kakao-Bewusstsein. Innerhalb dieser Masse gab es keine Form. Kein Du und Ich, sondern nur das Sein. Sehr beruhigend und irgendwie cool. Mir war klar, dass ich (=das Universum) nicht auf ewig flüssig bleiben konnte. Alles befindet sich im Wandel - so auch meine Daseinsform. Auf diesem Wege geschah es, dass ich bei freshen 7°C meine vorläufige Figur fand. In Form einer heiligen Geometrie.

Bereit zu wirken.
Bereit zu nähren.
Bereit zu verschmelzen.
Und genau so sollte es sein. Doch die Geschichte der Transformation des Menschen ist eine ganz andere. Und auch nicht für heute.
In schokoladiger Liebe,
Ähnliche Artikel finden
story