Viele meiner engen Freunde wissen, dass ich kein gebürtiger Deutscher bin. Die wenigsten kennen jedoch die Geschichte, die dahinter steckt. Selbst für mich, der ich selbst dabei war, scheint es etwas unwirklich. Aus verblassten Kindheitserinnerungen versuche ich mir im Nachhinein ein Bild von meiner Zeit in der Ukraine zu machen. Davon, wie meine Eltern, Boris und Irina, damals ihre Existenz aufgaben und mit mir an der Hand das Land verließen.
Ein riesiger Schritt, den ich erst vor kurzer Zeit in seiner Tragweite begriffen habe. Hätten meine Eltern diesen Schritt nämlich nicht gewagt, dann wäre ich jetzt womöglich als Soldat einem sinnlosen Krieg zum Opfer gefallen. Natürlich konnte das keiner ahnen, aber das mindert meine Dankbarkeit nicht im geringsten.
Ich erinnere mich verschwommen an langweilig aussehende VHS-Kassetten. Beschriftet mit "немецкий язык" - deutsche Sprache. Schwere Sprache, wie ich feststellen sollte. Für mich damals nicht von Interesse, zumal ich mit Russisch genug Probleme hatte. Erst als ich plötzlich in einem Kindergarten saß und merkte, dass ich niemanden verstehe, wurde die Sache ernst. Aber auch daran habe ich zum Glück nicht genug Erinnerungen, als dass es mich heute noch belasten könnte. Irgendwie habe ich es ja scheinbar gelernt...
Es ist ein seltsames Gefühl in einem Land aufzuwachsen, dessen Kultur man sich nicht zugehörig fühlt. Eine Fremdartigkeit, welche sich durch Schule, Arbeit und Freizeit zieht. Die einem Grund gibt, sich zurückzuziehen und unter "Seinesgleichen" zu bleiben. Schwer vorstellbar, für alle, die dort aufwuchsen wo sie geboren wurden, und deren Eltern die gleiche Sprache sprechen wie die Lehrer in der Schule.